Dich anzunehmen, wie du bist, schenkt dir Sicherheit und Vertrauen

Jule Pieper

Annehmen, dass ich eine Chaosqueen bin

 

Nun sind die ersten 24 Stunden in meiner neuen Heimat vergangen und ich habe schon wieder bewiesen,dass meine Familie mir zurecht den Namen Chaosqueen gegeben hat.

Ich habe mal wieder nur Mist gebaut – versehentlich - und am Ende des Tages hat mich das ein paar tolle Dinge gelehrt.

Ich habe mir eine Fahrerin organisiert, damit ich vom Flughafen zu meiner neuen Heimat nicht noch hundert Jahre Busfahren und vor allem den Ort suchen muss. Besonders nicht mit meinem Gepäck. Früher habe ich des Geld Sparens wegen auf jeglichen Luxus verzichtet. Eine Freundin lehrte mich und später dann auch Bodo Schäfer, dass man nichts gespart hat, wenn man stattdessen am Arsch ist und tausend Stunden verschwendet hat. Ich finde, in diesem Fall haben die beiden Recht und bin stolz auf mich, dass ich mir inzwischen auch mal was gönnen kann, was ich lange Zeit sehr schwer fand. Ich sehe also schon vor der Reise, dass ich mich entwickelt habe und das ist ein gutes Gefühl.

 

Mich annehmen, wie ich bin. Auch wenn ich gern anders wäre

 

Was ich nicht gelernt habe, ist jedes kleinste Detail über meine neue Heimat zu studieren. Denn dann hätte ich gewusst, dass hier kurz nach meiner Ankunft erstmal Feiertag ist und es schwierig wird, sich etwas zu Essen zu organisieren, wenn man Samstagabend landet.

Ein Grund mehr, dass eine Fahrerin goldwert ist, denn:

 

1. kam ich unkompliziert nach Hause

2. hatte ich gleich Sightseeing mit drin

3. war sie so lieb und hat mich darüber informiert, dass wir bald Feiertag haben

4. hielt sie mit mir sogar noch bei einem Supermarkt, für die Erstversorgung und

5. hat sie mich schon für eine Mystik-Wanderung mit ihren Hunden und Freunden eingeladen. Oh meinGott, wie cool ist das denn bitte.

 

Wenn du dich und deine Fehler kennst, bist du besser vorbereitet auf die Folgen

 

Der erste Abend ist schön. Ich ahne noch nicht, was mir morgen alles passieren wird. Ich zaubere mir Spaghetti und sitze bis es dunkel wird auf meiner Terrasse. Ich schaue aufs Meer und versuche zu realisieren, dass ich wirklich endlich hier bin.

 

Am nächsten Morgen eile ich freudig hinaus, will den Morgen riechen, sehen, hören, schmecken. Ich setze mich also meditierend, auf die Terrasse und bin glücklich. Bis ich feststelle, dass ich mich ausgeschlossen hab. Dumm gelaufen. Es ist viel zu früh, um jemanden anzurufen, daher warte ich. Früher wäre ich ausgerastet vor Panik. Was soll ich tun? Wieso bin ich nur so doof? Hilfe. Ich hätte nicht mal klar denken können vor Panik.

Dieses Mal lache ich über mich selbst, bleibe ruhig, überlege die Optionen und verbringe das Warten einfach so wie die Zeit, bevor ich wusste, dass ich Mist gebaut hab.

Als Hilfe kommt, lerne ich wieder eine nette Frau kennen. Wie schön. Wir plaudern und sie berichtet von einem Ort in der Nähe, bei dem ich Sport machen kann, wenn ich will.

 

Dich auf deine Fehler vorzubereiten, ist auch ein: dich annehmen, wie du bist

 

Im Laufe des Tages will ich die Gegend erkunden. Ich laufe natürlich als Erstes zum Meerwanderweg, auch wenn ich ihn nicht gehe, weil er zu gefährlich ist. Danach gehe ich in die Stadt. Da ich es nicht so mit der Orientierung habe, schicke ich mir einen Standort und gebe meine neue Adresse in mein Handy ein. Ich lerne ja dazu. Ich kenne meine Fehler und habe aus einigen gelernt. Also laufe ich los, finde sogar einen Supermarkt, der an einem Sonntag geöffnet hat, kaufe zum Glück eine Kühltüte und packe sie voll bis oben hin. Ich habe gern viele Lebensmittel zuhause, sonst bekomm ich Panik, zu verhungern. Sehr bescheuert, ist trotzdem so. Ich bin halt geprägt von ein paar Dingen aus der Kindheit.

 

Als ich zurück spazieren will, wundere ich mich, weil Googlemaps mir eine andere Route anzeigt. Na gut, ist ja nicht so wild. Dann lerne ich halt einen anderen Weg kennen. Also folge ich brav und bestaune die Gegend. Bis... ich vor einem Tor stehe und nicht mehr weiterkomme. Hm... Davon stand bei Googlemaps nichts.

Nun drückt wirklich meine Blase, wie auch schon heute Morgen vor der verschlossenen Tür und ich weiß nicht so richtig, wie ich nach Hause finden soll, wenn mein Handy es mir nicht sagen kann. Ich beschließe, eine fremde Frau um Hilfe zu bitten. Das habe ich inzwischen nämlich gelernt. Um Hilfe bitten und sich nicht seinem Schicksal kampflos ergeben. Im nächsten Moment telefoniert sie mit meinem Vermieter, den sie natürlich kennt, holt ihr Auto und fährt mich nach Hause. Wie nett ist das denn bitte?

 

Und diese Frau erzählt mir, dass es diesen Google-Weg früher gegeben hat, doch nach einem Brand wurde er geschlossen. Maps war also einfach nur nicht auf dem aktuellsten Stand. Na danke. Und dort, wo ich mich befand, wo es nicht mehr weiter ging, war eine große Villa. Ich dachte, das wäre eine Hotelanlage. Nein, wir haben es hier mit einem Scheichs_Anwesen zu tun. Auf dieses kann ich übrigens von meiner Terrasse aus schauen. Alter Schwede. Wo bin ich denn hier gelandet – lach.

 

Außerdem erzählt sie mir, dass es Samstag immer einen ganz fantastischen Flohmarkt gibt und sie sagt, wo ich sie und ihre Clique finden kann, die immer da ist. Also habe ich nun schon zwei Dates für die kommende Woche in einem fremden Land, in dem ich niemanden kannte. Wie cool.

 

Manche Dinge kann ich ändern, manche nur liebevoll akzeptieren- beides ist okay

 

Am Nachmittag lerne ich noch ein paar Nachbarn kennen, die mir eine sehr informative Zeitung schenken und ebenfalls ihre Hilfe anbieten, falls ich mal ein Auto brauchen würde. Denn hier macht man alles lieber mit dem Auto, ich fahre jedoch keins mehr. Wieder mal die Angst. Daran werde ich auch noch arbeiten. Noch ist nicht die richtige Zeit.

Die Nachbarn stellten auch fest, was ich schon geahnt hatte. Mein Tor geht nicht. Sie waren schon verwundert, warum ich es überhaupt abgeschlossen habe. Na ja, wegen der Sicherheit und so. Wobei es nur bis zur Hüfte geht und ich einfach drüber klettern kann, um raus oder reinzukommen. Sie meinten, ich solle mal die Vermietung anrufen, was ich ganz sicher heute nicht mehr tue – lach. Zwei Mal an einem Tag, wovon ich die Vermietung beim ersten Mal geweckt habe, das mache ich sicher nicht.

 

Deine Schwächen haben einen Sinn, den du erkennst, wenn du sie liebevoll akzeptierst

 

Was ich nun an diesem aufregenden Tag gelernt habe:

- Dass ich nie allein bin.

- Dass jede Erfahrung einen Sinn hat.

- Und mich zu weiteren Erfahrungen und Menschen bringt.

- Dass für mich gesorgtist.

 

Ich habe gesehen, dass ich gewachsen bin, denn wären mir diese Dinge früher passiert, wäre ich in Panik ausgebrochen und hätte den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Ich schwöre dir, ich hätte niemals diese Frau gefragt, mir zu helfen, nach Hause zu finden. Oder mir eine Fahrerin organisiert. Ich wäre stundenlang mit den Einkaufstüten oder dem Gepäck durch die Gegend gerannt und hätte mein Leben verflucht. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht und so.

 

Oder ich hätte mich, wohl wissend, dass ich mich sowieso verlaufen werde, gar nicht erst rausgetraut. Wie schade wäre das bitte? Ich hätte keine neuen Leute kennengelernt, die tolle Gegend nicht bewundert und hätte nichts erlebt. Ich brauche das Rumlaufen und Wandern und wie soll ich das denn tun, wenn ich mein Heim nicht verlasse?

 

Ich wäre gern anders, doch dann hätte ich vielleicht nie dieses Vertrauen gelernt, das mich heute leitet

 

Glaub mir, ich wäre gern anders. Ich würde gern keine Orientierung wie eine Bockwurscht, sondern wie ein Kompass haben. Ich würde mich gern wieder trauen, Auto zu fahren, damit ich nicht so abhängig bin von Bus und Fuß und anderen.

Ich würde gern achtsamer sein und mich nicht ausschließen. Ich würde diese Dinge vor allem gern, weil ich durch meine schlechten Seiten immer wieder Hilfe von Anderen brauche. Von Fremden wie von Freunden. Und das nervt mich irgendwie, weil es mir Schuldgefühle bringt.

 

Gerade darf ich lernen, dass auch diese Menschen ihren Spaß daran haben, wie die fremde Retterin des Tages, weil es ihr Freude macht und sie was zu erzählen hat, was Lustiges erlebt hat. Oder dass Freunde sich freuen, mir etwas zurückgeben zu können. Gut, für den Vermieter fällt mir nun nichts ein, was ich ihm mit meinen Anrufen Gutes getan hab. Vielleicht ist es einfach die lustige Geschichte über die doofe Ausländerin. So schlimm kann es jedoch nicht gewesen sein, denn ich wurde danach zum Essen eingeladen. Vielleicht hat die Vermietung auch gedacht, Mensch, mit der kann das ja lustig werden?

Von doofen Einwanderern gibt es hier übrigens viele. Unwichtiger Funfact. Wusstest du, dass es viele Menschen gibt, die den Toaster umdrehen, dort Sandwiches reinstecken – so richtig mit Käse und so – und sich dann wundern, wenn das Ding brennt. Da fühle ich mich gleich etwas besser, weil sowas mache ich wenigstens nicht. Lach.

 

Ich akzeptiere mich so, wie ich bin, denn ich bin gut genug

 

Ich wäre gern anders. Bin es nicht. Und das akzeptiere ich. Klar, dass ich Chaosqueen genannt werde und die Leute mit dem Kopf schütteln, weil ich so ahnungslos und träumerisch von wegen „wird schon“ durch die Gegend laufe, hat mich lange Zeit verletzt. Weil ich mich dadurch so anders und irgendwie dumm gefühlt habe.

Weißt du was?

Vielleicht ist es total gut, dass ich so bin. Weil ich durch all die Dinge gelernt habe, dass ich mir und dem Leben vertrauen kann, weil alles einen Sinn hat und für mich gesorgt ist. Überall. Und vielleicht helfe ich mit meiner Art ein paar anderen. Und wenn nicht, dann habe ich dennoch eine aufregende Zeit, weil mein Leben durch all diese Schattenseiten definitiv nie langweilig wird.

 

Akzeptiere wer und wie du bist

 

Will sagen: Akzeptiere wer du bist und wie du bist. Und dann mach einfach das Beste draus. So zu sein wie du, ist ein Geschenk, macht dich einzigartig und das wiederum kann viele Vorteile haben.

 

Dich anzunehmen, wie du bist, schenkt dir Sicherheit und Vertrauen

 

Lange dachte ich, Sicherheit ist ein fester Wohnsitz, ein Job mit regelmäßig gleichem Gehalt, ein Partner, der dich auffängt, wenn es dir schlecht geht, in einem Land zu leben, dessen Sprache du sprichst, eine Orientierung zu haben. All das habe ich nicht und trotzdem fühle ich mich so sicher wie nie.

Sicherheit ist eine Illusion. Sicher kann ich mich fühlen, wenn ich mich auf mich verlassen kann und um das zu tun, gilt es, mich zu kennen, mit all meinen Fehlern und dadurch mich sehr klar einschätzen zu können.

 

Ich musste erst alles verlieren, um mich so sicher wie nie zu fühlen, weil ich mich habe. Weil ich dem Universum und mir selbst vertrau.

Und wenn du wissen, möchtest, wie es dazu kam, dass ich jetzt im Paradies lebe, schaue dir diesen Beitrag an.

 

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